48, von Claudia Gehrke

Vor Kurzem verbrachten wir wieder einmal viele Nächte mit den unvorhersehbaren Überraschungen einer Buchproduktion. Bücher einzurichten gehört zu den schönsten Arbeiten einer Verlegerin. Verleger größerer Verlage machen es nicht selbst, sie delegieren diese Arbeit an Grafikbüros oder einen Hersteller im Haus. Aber wir (wie die meisten kleineren Verlage) bauen die Bücher selbst.

 

Früher wurden Texte gesetzt und Bilder lithografiert, aus den Satzfahnen und Kopien der Bilder Umbrüche auf Papier geklebt, die geklebten Doppelseiten in eine Reihenfolge gebracht und dann das Ganze von der Druckvorstufenabteilung der Druckerei nachgebaut. Bei Romanen ohne Bilder ist es einfacher, doch komplizierter, als es im fertigen Buch aussieht: Typografie muss gestaltet werden, die Überschriften, Kapitel, Schriftart, Zeilenabstand etc.  Heute, im digitalen Zeitalter, entsteht die Druckvorlage am PC (was nicht schneller geht). In solchen Nächten lässt sich jeder andere Stress vergessen. Keine Anrufe stören, die Tageszeitung ist noch weit weg, ich klicke auch nicht dauernd in den Maileingang oder ins Internet, die Zeit erscheint unendlich. Es ist ein schönes Gefühl, sich einem Objekt vollständig hinzugeben, sich dem Rest der Welt zu entziehen, für eine Weile. Ein Rausch. Aber natürlich begegnet mir die Welt aus dem Buch heraus –

 

Das aktuelle Buch hat das Thema Bücher. Es besteht aus vielen Einzelteilen – kurzen Texten aus verschiedenen Bereichen rund ums Bücher machen und ums Bücher lesen und aus Bildern – , die wir in eine Anordnung bringen wollten, sodass sich das Buch später lesen ließe wie ein Roman. Natürlich wird es nicht so gelesen. Die Leserinnen und Leser blättern, lesen einen Text,  blättern weiter oder zurück. Aber vielleicht ist die Arbeit der erzählerischen Anordnung doch zu spüren, auch wenn wie üblich bei solchen Büchern quer gelesen wird.

 

Einer der Texte, er handelt von der Arbeit einer Lektorin, sollte auf die Seite 48. Diese Seitenzahl kommt im Text vor, sie spielt dazu eine unsichtbare Rolle, die für Autorin Regina Nössler eine Bedeutung hat. Die 48 gab uns einen Punkt, an dem wir beginnen konnten, den Ablauf zu gruppieren, mal nicht vom Anfang her. Schreibt man bei Romanen immer den Anfang zuerst? Texte und Bildstrecken vorher und danach betteten den einen kurzen Text schön ein, der Ablauf stimmte, war gut in Folge zu lesen. Irgendwann einige Nächte später stellten wir fest, dass wir fürs Vorwort zu viel Platz gelassen hatten; wir würden nicht so viel schreiben, aber hinten brauchten wir noch Seiten. Wir löschten die Seiten vorne. Noch eine Nacht später fiel uns mit Erschrecken ein, dass der Text, um den herum wir den Aufbau des Buches begonnen hatten, nun die Seite 48 nicht mehr berührte. Auf der 48 begann der nächste Text. Wir brauchten ungeplante Stunden, bis wir eine Doppelseite gefunden hatten, die wir von hinten nach vorne, vor den Text schieben konnten, ohne dass wir den ganzen Ablauf durcheinanderbrachten.

 

Das Buch enthält relativ viele Farbseiten, es sollte im Offsetverfahren gedruckt werden, mit der kleinsten dort noch rechnerisch möglichen Auflage. Aber die Druckerei hätte den Termin der Buchpremiere nicht mehr geschafft. Wir entschieden uns für Digitaldruck. Optisch ist das heute nicht mehr zu unterscheiden, Farbbilder sehen im Digitaldruckverfahren sogar besonders schön aus, sind aber sehr teuer. Wir spielten weiter mit Zahlen herum. Beim Offsetdruck sollte die Seitenzahl möglichst durch 8, 16 oder am besten durch 32 teilbar sein, damit die Bögen gefüllt sind. Beim Digitaldruckverfahren ist das egal, die Blätter werden einzeln gedruckt. Dem Inhalt gaben wir nun 333 Seiten. (Man versieht nicht alle Seiten mit Seitenzahlen, eine Impressumseite z.B. hat keine Seitenzahl, denn natürlich kann auch im Digitaldruck kein Buch eine ungerade Seitenzahl haben.) Wir gaben 666 Exemplare in Auftrag. Der Verlag hat bisher etwa 666 Bücher verlegt. Das Buch lässt sich im Digitaldruck mit einer exakten Auflage drucken. Beim Offset laufen schnell mal ein paar Bögen mehr oder weniger durch die Maschine. Wir waren fertig. Wir gaben ab, knapp zum Termin, gerade so noch geschafft! In der Buchgestaltung, angefangen beim Lektorat eines Manuskripts bis zur fertigen Druckvorlage, dauert immer wieder aufs Neue alles länger als anfangs geplant. Am nächsten Tag kam  eine Mail aus der Druckerei, wie teuer es werden würde! Unbezahlbar. Unsere nette Betreuerin fragte, ob es nicht möglich sei, die Farbseiten anders anzuordnen, damit könnten die Kosten reduziert werden. (Die Farbseiten waren so  angeordnet, wie es für die Bogenaufteilung mit je 16-seitigen Vorder- und Rückseiten günstig gewesen wäre.) Die Zeit war nun mehr als  knapp. Ich hängte noch einmal zwei Nächte an und baute einen Teil die Farbseiten so um, dass die Herstellung bezahlbarer wurde. Auf die Vorder- und die Rückseiten einzelner Blätter. Kein Mensch wird das sehen. Die Farbseiten wirken, als wären sie im Aufbau ganz „natürlich“ schon immer an diesen Stellen gewesen. Vor einer knappen Woche war das Bücherbuch endlich druckfertig. Heute, am 6.6., werden die 666 Exemplare angeliefert. Und der Text mit der 48 ist noch immer am richtigen Platz.

 

Claudia Gehrke

 

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