Gendernd und schlendernd durch den Sprachgarten ...

Gendernd, sprachlich den Geschlechtern gerecht werden(d), versuchen wir, Formulierungen zu finden, die niemanden benachteiligen und alle berücksichtigen. In diesem Prozess des Suchens und Findens haben sich schon einige Lösungen aufgetan. So wurden aus den (männlichen) Studenten, unter denen sich ja auch weibliche befinden sollen, die Studierenden. Aus den Schülern und Schülerinnen die verkürzten SuS, genauso wie aus den Klassenlehrern und Klassenlehrerinnen die KuK, aus den Beamten die BeamtInnen, aus Köchen und Köchinnen die Köch*innen (mit gegluckster Sprechpause). Alles gutgemeinte und gutmeindende Versuche, doch keiner davon hat das Zeug, von allen anerkannt zu werden. Einesteils gibt es die, die am Duden festhalten -  der ja all diese Versuche (noch) nicht als Regelwerk anerkennt  -  und es gibt diejenigen, die über den Duden hinauswollen. Mit der Begründung, dass die Regeln im Duden ja auch nicht aus Stein gemeißelt und letztlich dem gesellschaftlichen Wandel unterworfen seien. Schließlich komme es ja auch darauf an, wie hartnäckig sich ein neuer Sprachgebrauch in der Bevölkerung durchsetze.

Unter all diesen Möglichkeiten, die sicherlich, jede für sich, ihre Berechtigung haben, möchte ich hier eine davon genauer unter die Lupe nehmen, und zwar die sich im Prozess Befindende. Im Begriff „die Studierenden, Lehrenden, Arbeitenden“, etc. kommt das Prozesshafte des Lebens exemplarisch zum Ausdruck. Und sind wir nicht alle im Prozess? Im Werden und Vergehen. Wir partizipieren an der Bewegung des Daseins.

Neben der philosophischen Bedeutung ist die Bildung der neuen Begriffe sehr simpel: Man nehme ein Tätigkeitswort und füge das „-d-„ am Ende hinzu. Zum Beispiel: lernen - lernend; der/die/das Lernende. Und man staune: Nicht nur zwei Geschlechter sind hier untergebracht, sondern alle, die - zumindest im Deutschen - existieren. Der/die/das Lehrende; die Arbeitenden. Hier ist ein Schlupfwinkel, den uns die deutsche Sprache bietet, denn während in anderen Sprachen das Partizip gegendert wird (frz. l’amant/e), existiert diese Regel im Deutschen nicht. Das sieht man auch an der Nationalität: der/die/das Deutsche. Wir sind aus einem Adjektiv gebildet. Was der Franzose und die Spanierin z.B. nicht sind. Auch viele andere Nationalitäten nicht. Übrigens: Partizip und Adjektiv sind nah miteinander verwandt, denn ein Partizip kann auch als Adjektiv verwendet werden: der/die/das Träumende.

Wir sehen: Das Partizip bietet uns viele Möglichkeiten. Neben dem adjektivischen Gebrauch des Partizip I und der prozesshaften Form können wir noch auf das Feststehende, schon Erledigte des Partizip II zurückgreifen.

Das bietet sich bei Bezeichnungen an, für die man keine Alternative als Ausdruck findet. Denn, was ist z.B. mit den Schülern und Schülerinnen? Als Verb existiert „schülern“ nicht. Man könnte auf das Tätigkeitswort lernen zurückgreifen, also von den Lernenden sprechen. Doch dank der vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten des Partizips könnten wir auch das Verb beschulen verwenden und so - passivisch - von den Beschulten sprechen. Es fällt auf, dass es sich bei den Lernenden eher um aktive Wesen handelt, im Gegensatz zu den Beschulten, die das - passivisch -  mit sich machen lassen. Ein Beispiel für die Reichhaltigkeit des Partizips: Auf diese Weise könnten wir gleich die unterschiedlichen Ambitionen der Schüler und Schülerinnen zum Ausdruck bringen.

Ähnlich verhält es sich mit dem Beruf des Beamten. Eine verkürzte Form, denn ursprünglich: der Beamtete. Das Verb also: beamten. Partizip I: beamtend. Der Vorgang des Beamtens: eine Person in den Beamtenstand setzen. Dieser Vorgang ereignet sich in einer sehr kurzen Zeitspanne, d.h. die aktive Phase währt nur kurz.

Hier ist der Prozess zum Stillstand gekommen. Es handelt sich hier also nicht mehr um einen Vorgang, sondern um eine gewisse Endgültigkeit, die passiv, also im Zustand der Trägheit erlebt wird, denn das Beamtetwerden durch den Beamtenden hat in der Vergangenheit stattgefunden.

 

Man sieht: Partizipierend gestalten wir die Welt!

 

Allerdings birgt das Partizip, falsch angewandt, auch gewisse Gefahren. Denn wie ist es z.B.  mit der Bezeichnung „Kanzler“? Wie schnell wird aus einem/einer Kanzelnden der, die, das Gecancelte! 

Ingrid Schulz, 16.6.2021

 

PS der Verlegerin:

Im Berliner Tagesspiegel war vor einigen Monaten ein Leserinnenbrief einer Namensvetterin von mir (der nicht meine Meinung zu dem Thema widerspiegelte). Monatelang wurde ich darauf angesprochen. Ich schreibe keine Leser*innenbriefe, war aber verführt zu antworten, doch es war zu spät. Das "Dazwischen" ist im Verlag seit jeher vertreten. In Del LaGrace Volcanos Buch Sublime Mutations zum Beispiel. Sprache verändert sich immer. Gut, dass es weibliche Formen in den Duden geschafft haben, noch sind sie nicht im Duden, aber ich vermute, „Genderschreibweisen" kommen irgendwann auch noch hinein. Sie müssen ja nicht verwendet werden, auch muss nicht ewig darüber gestritten werden.

"Liebe Freundinnen und Freunde" etc. schreibe ich meistens, auch "Liebe Autor*innen". Das Sternchen finde ich persönlich optisch ganz hübsch.

 

Heute ein Beitrag von Ingrid Schulz, sie ist im Verlag mit einem unserer kleinsten Bücher, wie ein Vokabelheft mit lakonischen Gedichten über das Unterwegssein.Sie arbeitet als Lehrerin.

 

 

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