Zitate Herta Müller

aus ihren Tübinger Poetikvorlesungen


1. Vorlesung „In jeder Sprache sitzen andere Augen":

 

„In der Dorfsprache, so schien es mir als Kind, lagen bei allen Leuten um mich herum die Worte direkt auf den Dingen, die sie bezeichneten. Die Dinge hießen genauso wie sie waren und waren genauso wie sie hießen. Ein für immer geschlossenes Einverständnis. Es gab für die meisten Leute keine Lücken, durch die man zwischen Wort und Gegenstand hindurchschauen und ins Nichts starren musste, als rutschte man aus seiner Haut ins Leere."

 

 

 

2. Vorlesung „Der König verneigt sich und tötet":

 

Oft werde ich gefragt, warum in meinen Texten so oft der König und so selten der Diktator vorkommt. Das Wort König ist weich. Und oft werde ich gefragt, warum in meinen Texten so oft der Friseur vorkommt. Der Friseur misst die Haare und die Haare messen das Leben …"

 

 

 

3. Vorlesung „Wenn wir schweigen, werden wir unangenehm, wenn wir reden, werden wir lächerlich":

 

„Das Schweigen ist keine Pause zwischen dem Reden, sondern eine Sache für sich. Ich kenne von zuhaus bei den Bauern eine Lebensweise, die sich den Gebrauch von Wörtern nicht zur Gewohnheit machte. Wenn man nie über sich selber spricht, redet man nicht viel. Wie alle im Haus hatte auch ich gelernt, am anderen das Zucken der Gesichtsfalten, Halsadern, Nasenflügel oder Mundwinkel, des Kinns oder der Finger zu deuten und nicht auf Wörter zu warten. Zwischen Schweigenden hatten unser aller Augen gelernt, welches Gefühl der andere mit sich durchs Haus trägt. Wir horchten mehr mit den Augen als mit den Ohren."