Rafael Arozarena: Mararía

Leseprobe


Wieder stampften die alten Frauen den Boden im Takt der Musik. Ich war kein Maulheld, das versichere ich Ihnen, obwohl es mir damals nicht an Kraft und Aussehen mangelte. Wenn ich tat, was ich Ihnen jetzt erzählen will, dann erfolgte es aus einem tiefer liegenden Grund als den Angeber zu spielen.

 

So geschah es, dass einmal, als ich María ansah, sie den Blick hob und die Augen so zärtlich auf mir ruhen ließ, dass ich eine seltsame Glut durch meinen Körper strömen fühlte. Als ich mir dessen gewahr wurde, stand ich schon neben ihr und forderte sie zum Tanz auf. Sie sagte nichts. Sie überließ der Alten einen kleinen Beutel, den sie in der Hand hielt, stand auf, stellte sich vor mich und wartete, dass ich sie um die Taille nahm. Was für eine Taille! Meine rechte Hand erstarrte, kaum dass sie den Körper unter dem Stoff des Kleides fühlte. Ich war kein großer Tänzer, nein, mein Herr, das war ich nie, aber die Füße über den Boden ziehen, das ist so einfach, dass man das nicht erst lernen muss. Wir tanzten, ohne jemand anderen wahrzunehmen, wir hatten nur Augen für einander, in wenigen Augenblicken erzählten wir uns das, was uns wichtig erschien. Marías Haut war so zart und weiß, dass sie mich an die Madonna erinnerte, die in der Kirche meines Heimatdorfes stand. Als wir an den Fässern vorbeitanzten, stieß Marcial, der Bucklige, einen seiner Schreie aus, aber diesmal so gellend und anhaltend, dass man ihn schütteln musste, damit er aufhörte. Mir ging der Schrei zu Herzen, weil er für mich eher der Klage eines verwundeten Tieres glich als einem Ausdruck der Freude, das Mädchen tanzen zu sehen. Als das Stück zu Ende war, brachten die Männer die Frauen an ihren Platz zurück und dann standen sie gruppenweise in den Ecken des Tanzsaals zusammen. Ich blieb wie benommen vor Mararía stehen und wusste nicht, was ich tun oder sagen sollte.

 

Ich wartete darauf, dass die Gitarren und timples von Neuem zu spielen begännen, aber es entstand eine so tiefe und andauernde Stille, dass es mir war, als ob ich einen unheilverkündenden Hauch spürte. Sie wissen, wie so etwas ist, nicht wahr? Es ist, als ob ein Schwarm Raben mit schwarzem, lautlosem Flügelschlag in den Kopf eindränge. Jetzt hatten die Alten neben María die Augen weit aufgerissen und eine von ihnen zog einen Rosenkranz aus der Tasche und ließ ihn unruhig durch die Finger gleiten. Ich warf dem Hexenverein ein scheues Lächeln zu und ging nach draußen, um ein wenig Luft zu schöpfen. Die Nacht war klar und es machte Vergnügen, den sternenübersäten Himmel zu betrachten. Da dachte ich, dass es nicht schlecht wäre, verheiratet zu sein, in Frieden zu leben und mit dieser schönen Frau Kinder zu haben und alt zu werden und zu sterben und in Femés begraben zu werden. All das unter jenen Sternen, in den stillen Nächten an Bord dieser Insel, die mir immer wie ein gestrandetes Schiff vorgekommen war, wie ich selbst, wie mein eigenes Leben… verflucht soll es sein!

 

Ich stand gegen die gekalkte Hauswand gelehnt und wartete und wartete, ohne genau zu wissen worauf, aber ich war sicher, dass ich im Begriff stand, den Regeln eines Spiels zu folgen, das mein Blut nicht zur Ruhe kommen ließ. Einige Minuten später erklangen die Gitarren von Neuem und in der Tür erschien Isidro. Er kam auf mich zu.

 

»Gibst du mir Feuer, Fremder?«

 

Ich streckte ihm das Feuerzeug entgegen und zündete seine Zigarette an.

 

»Da drinnen ist es heiß«, sagte er.

 

»Ja.«

 

»Hier draußen ist es angenehm, in solch einer Nacht.«

 

»Ja«, erwiderte ich.

 

Eine ganze Weile sagten wir nichts. Ruhig rauchte er. Ein Uhu strich über uns hinweg und er zeigte ihn mir, als ob dieser Vogel irgendeine Bedeutung hätte.

 

»Es ist ein Uhu«, bemerkte er.

 

Er rauchte die Zigarette zu Ende und zertrat den Rest mit dem Fuß.

 

»Gehen wir zu mir nach Hause!«, sagte er plötzlich. »Ich lade dich auf ein Glas ein.«

 

Wir gingen zum Wirtshaus.

 

»Mutter!«, rief er, als wir das Haus betraten

 

© konkursbuch Verlag Claudia Gehrke