Jule Blum & Elke Heinicke: Dreivariantencouch

Leseproben


Lächelnd schaute sie sich jetzt die Bilder auf ihrem Laptop an und verlor sich in Urlaubserinnerungen. Nach diesen turbulenten Ferien war sie davon ausgegangen, dass es wohl bei einem Urlaubsflirt bleiben würde. Endeten solche Geschichten nicht spätestens mit dem Auspacken der Koffer? Aber kaum zwei Tage in Leipzig, hielt sie es nicht mehr aus und schickte Astrid eine Postkarte, bemüht cool und unverbindlich. Die E-Mail-Adressen hatten sie nicht getauscht, eine SMS wäre zu direkt gewesen, ein Brief zu persönlich, zum Telefonieren war sie allemal zu feige. Von Astrid steckte allerdings schon am darauffolgenden Tag ein langer Brief in ihrem Kasten.

 

Und so begannen sie zu reisen, von der Hunte an die Pleiße und von der Pleiße an die Hunte. Die Jahreszeiten wechselten, die Monate vergingen, aber der Wunsch, beieinander zu sein, sooft wie möglich, blieb.

 

Ständig war Kerstin unterwegs, ständig kaufte sie Fahrkarten, kannte Verbindungen und Fahrpläne schon längst auswendig. Und weil sie Orakel in allen Lebenslagen liebte, hatte sie ein Spiel daraus gemacht, ob es wohl gelingen würde, Rabatte für die Tickets zu ergattern. Schaffte sie es, war es ein gutes Vorzeichen für die Beziehung mit Astrid. Waren die Sparpreise vergriffen, geriet sie prompt in Zweifel, ob Astrid es wirklich ernst meinte, ob es ihr selbst nicht doch bald ungemütlich eng in dieser Beziehung werden würde, ob Astrids Art, Beziehungen zu führen, sie nicht doch überfordern würde. Wie furchtbar hatte sie sich im Herbst gefühlt, nach der schrecklichen SMS. Ach, wenn das Orakel ihr ein unerbittliches „Nicht verfügbar“ entgegenschleuderte, tauchte jedes Mal eine ganze Armada an Zweifeln aus ihren Seelentiefen auf. Dann blieb ihr nur, ihr eigenes Orakel zu manipulieren.

 

Für heute hatte es auf Anhieb geklappt, satte fünfzig Prozent Ermäßigung waren drin gewesen. Fabelhaft, denn ein gutes Omen brauchte sie. Schließlich war es kein gewöhnliches Wochenende. Astrid feierte ihren vierzigsten Geburtstag und unter den Gästen würde auch Dorothea aus Heidelberg sein. Astrid hatte sie vor gut drei Monaten kennengelernt, als sie für ein Kulturblatt beim Heidelberger Herbst war. Da ihr die Frau auf Anhieb gefiel, so hatte sie später stolz erzählt, hatte sie das ungeheuere Gedränge geschickt ausgenutzt, um ihr näher zu kommen. Sie hatte nie einen Hehl daraus gemacht, dass sie sich noch an jenem Wochenende in Dorothea verliebt hatte. Warum auch hätte sie lange drum herum reden sollen? Sie hatte von Anfang an erklärt, sich nur auf offene Beziehungen einlassen zu wollen. Keine Besitzansprüche. Keine Ausschließlichkeit. Keine Dramen. Keine Eifersucht.

 

Als dann aus den Theorien mit Dorothea Realität wurde, war Kerstin am Boden zerstört. Doch nach anfänglicher Panik hatte sie beschlossen, Astrids Modell auszuprobieren.

 

Aber jetzt war ihr trotz allem ordentlich flau im Magen. Schließlich war dieses Modell bisher weit weg gewesen. Wie sich die Praxis zu dritt gestalten würde, davon hatte sie noch nicht die leiseste Ahnung. Würde sie sich mit Dorothea verstehen? Würde sie Astrid teilen können? Würde sie vielleicht doch eifersüchtig werden? Würde so viel geballter Konjunktiv überhaupt gut gehen können?

 


Die Kühlschranktür schloss sich. Dorothea begann zu lächeln, öffnete die Tür gleich noch einmal und ließ sie erneut zufallen. Dieses satte kleine Geräusch passte perfekt zu ihrer Stimmung. Ein langes spannendes Wochenende lag vor und heißer Sex mit Astrid hinter ihr. Das Grinsen wurde breiter – schon allein dafür hatten sich das nächtliche Aufstehen und die lange Fahrt wohl gelohnt.

 

Dorothea machte es kaum mehr etwas aus, bereits um drei Uhr in der Früh in ihrem kleinen Honda über nahezu ausgestorbene Autobahnen in Richtung Oldenburg zu rasen. Vor Verlangen mit glühendem Bauch und einer Überdosis Adrenalin im Blut kribbelig bis in die Zehen konnte sie sowieso nicht schlafen, wenn sie Astrid drei ewig lange Wochen nicht gesehen hatte.

 

Wie beim letzten Besuch hatte sie nach der Ankunft die Wohnungstür leise mit ihrem Schlüssel geöffnet und Astrid mit einer Tüte ofenfrischer Brötchen aus den Federn locken wollen, aber Astrid hatte sie – ebenfalls wie beim letzten Mal – ins Bett gezogen, die Brötchen waren vergessen und Dorothea stürzte sich auf anderes als auf ein üppiges Frühstück.

 

Das holten sie dann später nach, schon ziemlich in Eile. Astrid musste dringend in die Redaktion ... Von der Redaktion aus wollte sie gleich zum Bahnhof fahren, um Kerstin abzuholen. Und Dorothea hatte versprochen, für heute Abend ein Festmenü zu zaubern. Ein gutes gemeinsames Essen würde für eine entspannte, harmonische Stimmung sorgen, so hoffte sie jedenfalls.

 

Nachdem Astrid ebenso hektisch wie unwillig aufgebrochen war, holte Dorothea als Erstes die Kühltasche mit den Zutaten für Astrids Geburtstagskuchen aus ihrem Auto. Sie gedachte, um Mitternacht eine Himbeer-Ricotta-Torte mit einer Kerze darauf zu servieren. Auf das entzückte Gesicht freute sie sich schon. Astrid aß nahezu alles gern und mit offenkundigem Genuss, schätzte selbst gemachte Süßigkeiten aber am allermeisten. Sie würde heute Abend ganz besonders auf ihre Kosten kommen, denn als Dessert war die von ihr heiß geliebte Mause-Schokolade geplant.

 

Die Torte war im Handumdrehen fertig, sie machte trotz des imposanten Namens, des noch imposanteren Aussehens und des himmlischen Geschmacks erstaunlich wenig Arbeit und Dorothea konnte sie bald vor begehrlichen Blicken und gierigen Fingern bis zum Abend in ihrem Auto verstecken. Schnell spülte sie anschließend alles verräterische Geschirr und begann mit der Zubereitung der Mousse au Chocolat. Die würde wohl ein wenig länger brauchen als der Kuchen, doch Dorotheas Hände arbeiteten wie von selbst, bewegten sich in vertrauten Abläufen. Ihre Gedanken begannen zu tanzen, während sie die bittere dunkle Schokolade ins Wasserbad schnitt, Eier trennte und mit braunem Zucker schaumig schlug, rührte und kostete.

 

© konkursbuch Verlag Claudia Gehrke