Der Himmel passt nicht in das Viereck eines Fensters

Gedichte zur Zeit. Leseprobe


Immer ist Krieg


Im Gesicht meiner Mutter
ist mein Krieg
Auf ihren Schultern
In ihrer ratlosen Hand
Im Schweiß ihrer Hand
und wie diese Hand
mich zerpresst
Ihr Blick in den Himmel
Ihr zitternder Mund
Ihr Schürzenzipfel
geknittert in meiner Faust
Mutters Atmen ihr Aufatmen
Hoffen von dem ich
nichts weiß als
wie es sich zeigt
im Gesicht
und in ihrer Hand
und wie es sich eingrub.

Das ist mein Krieg.
Immer ist Krieg.
Ich halte die Ratlosigkeit

in meiner Faust.

 

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Krieg


Am Gartentor. Eine Granate hatte die Birke gefällt.
Aus dem Stumpf trieb von Frühjahr zu Frühjahr
ein neuer Stamm, mager zur Seite geneigt.
Über den Ginsterbusch, der überlebte,
hingen die Zweige flüsternd herab.
Zum Klettern war sie zu schwach.
Ich streichelte heimlich stolz
die einarmige Schwester,
größer wurde sie und
schöner, meine Birke.
Ich hütete sie.
Heute wohnen
Fremde dort.
Haben Platz
für Einfahrt
und Garage
geschafft.

 

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Ich bin ein Einwanderungsmensch


Ich gehe
dir entgegen
du gehst mir
entgegen
in meiner Stadt
meinem Land.

Ich erlaube mir
es zu sehen
zu hören
zu ahnen
das Andere

im Vorbeigehen
berühre ich dich
mit meinem Blick
weil du mich berührst
mit deinem Anderssein.

Wir gehen
einander
so viel an
und so wenig
wie ein Mensch
einen Menschen angeht
den er nicht kennt.

Aber ich weiß.
Mein Hier
es bleibt
dein Woanders.

 

 

© Konkursbuch Verlag Claudia Gehrke 2022