Dagmar Fedderke: Rosa und das Hoffnungsglück

Leseprobe


“Ich gehe jetzt mit meiner Freundin.” Rosa hört den Ausruf des Grünen, er dringt in alle Küchen des Wohnviertels, in alle Mutterohren der Welt, läutet die Kirchturmglocken so laut, daß der liebe Gott aufwacht und hinsieht, wie Rosa automatisch weitergeht, geradeaus, auf den Grünen zu, der den blonden Glatzkopf weggestoßen hat. “Wohin des Wegs?” sagt er fröhlich zu ihr, zu ihr! Er weiß nicht, daß seine Worte sich in einzelne Buchstaben verwandeln, die Rosa zum ersten Mal im Leben mit dem Phänomen “Perlen” konfrontieren: sie legen sich wie Perlen um ihren Hals, um ihre Haut auf dem Weg zum Busen zu liebkosen …

 

[…]

 

Rosa geht angewidert an dem Veilchen vorbei. Sie friert in der kalten Sonne, sie will schnell wieder hinein in den Schutz irgendeiner Architektur. In die Vorteile der Zivilisation, die Wärme der Fernheizung. Sie geht auf eine Glastür zu. Die Glastür gehört zu einem Krankenhaus, sie war nur mal kurz draußen. Rosa ist im Krankenhaus. Rosa ist krank. Was hat sie denn? So schlimm kann es ja nicht sein, wenn sie so einfach hinausgehen kann. Sie will aber lieber wieder hinein ins Krankenhaus. Ihr Zustand paßt besser zum Drinnen als zum Draußen. Vielleicht ist das ihre Krankheit.

Vor der Glastür neben einem großen, sandgefüllten Aschenbecher steht ein Mann, der raucht. Rosa raucht auch. Rauchend geht sie auf die Glastür, auf den Aschenbecher und den Mann zu. Der Mann fällt auf. Er ist türkis. Das heißt, sein Anzug ist türkis. Ein Fallschirmspringer-Anzug aus türkiser Seide. Um den Hals ist ein dicker weißer Kreis-Kragen, ein Verband für einen steifen Hals. Darüber ein Kopf in Blond. Rosa sieht ihn wie eine Comic-Zeichnung. Eine perfekte Batman-Figur, nur in Türkis. Eine Kunstfarbe, eine österliche.

 

[…]

 

Der türkise Mann steht nicht einfach neben dem Aschenbecher vor der Glastür, er ragt auf. Die rauchende Rosa muß nicht nur an diesem türkisen Männer-Denkmal vorbei, um durch die Glastür wieder ins Krankenhaus hineinzugehen, sie muß dort, neben ihm, in dem Betonaschenbecher ihre Zigarette ausdrücken. Sie muß neben ihm anhalten. Einen Moment lang … Türkis bewegt sich nicht. Nur die Augen wandern in die Winkel, in die spitzen Winkel. Es blitzt. Elektrisch. Aus dem Moment wird ein Augenblick. Rosa ist getroffen. Dann geht sie an ihm vorbei, aber sie läßt ihn nicht hinter sich. Er geht mit. Rosa ist getroffen. Dann geht sie an ihm vorbei, aber sie läßt ihn nicht hinter sich. Er geht mit. Rosa fühlt sich ganz als Rücken.

 

© konkursbuch Verlag Claudia Gehrke