Interview mit Regina Nössler

anlässlich des Stuttgarter Krimipreises für "Die Putzhilfe"

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Am Freitag, 1.10.21 findet in Stuttgart  im Friedrichsbau Varietè die festliche  Preisverleihung an die Preisträgerinnen und Preisträger der Stuttgarter Krimi-preise für die Jahre 2020 und 2021 statt. Mit Sektempfang und vielem mehr. Eintritt frei, Anmeldung erforderlich.

Regina Nössler ist dabei und ihr Krimi „Die Putzhilfe“ (Preis für den besten deutschsprachigen Kriminalroman).

Am Samtag, 25. 9, liest Regina Nössler auf dem Tübinger Bücherfest im Landgericht aus ihrem an dem Tag frisch aus der Druckerei kommenden neuen Roman Katzbach.


Du schreibst Thriller. Was ist (für dich, für manche Leser) ein „Thriller“? Wie unterscheidet dieses Genre sich vom „Krimi“?
Das Genre Krimi ist inzwischen ja erfreulicherweise recht vielfältig und groß, das sage ich jetzt als Leserin, so groß, dass für jeden Geschmack etwas dabei ist. Und die Grenzen zwischen den Subgenres können fließend sein, sind es auch oft, es gibt Elemente aus dem einen, die im anderen zu finden sind, und umgekehrt. Der Hauptunterschied zwischen Krimi und Thriller besteht für mich darin, dass es beim Kriminalroman vornehmlich um die Aufklärung eines Verbrechens geht, also um die Ermittlung, im deutschsprachigen Raum vor allem aus dem Blickwinkel der Polizei, Privatdetektive gibt es hier ja eher selten (und vielleicht würden sie hier auch ein bisschen lächerlich wirken). Nach meinem Verständnis ist beim Thriller die Hauptfigur direkt involviert – in die Gefahr, das Verbrechen, wie immer auch. Klassisches Beispiel: Die Hauptfigur wird von etwas oder von jemandem bedroht. In der Oktober-Ausgabe von Crime-Mag spricht Sonja Hartl in ihrem Beitrag an, was heute die meisten, leider, unter einem Thriller verstehen: „Blut, Gemetzel und nach Möglichkeit ein Serientäter“ (zum Artikel) – aber das ist eine sehr einseitige Sichtweise und wird dem Thriller nicht gerecht. Ganz davon abgesehen lesen ja auch nicht alle gern detaillierte Beschreibungen von Gemetzel.

 

Du schreibst in jedem Thriller über ein neues Thema. Alle bisher erschienenen sind sogenannte Standalones. Es sind keine „Ermittlerkrimis“, in denen neben der jeweiligen Krimihandlung eine „Ermittler-Fortsetzungsgeschichte“ erzählt wird. Jeder Roman hat neue Figuren und Themen, Ermittler sind (bisher) Nebenfiguren, wenn sie überhaupt vorkommen. Wie kommst du auf deine Figuren und Themen?

Ich denke, genauso wie andere Kollegen und Kolleginnen auch: Gespräche mit anderen, einigermaßen über das Zeitgeschehen informiert sein, mit wachen Augen und Ohren durch die Welt gehen. Manchmal kann es ausreichen, was mir jemand erzählt. Selbst wenn es ganz unwichtig erscheint, kann es ein winziger Funke sein, der plötzlich etwas Größeres auslöst, vielleicht auch erst am nächsten Tag oder einen Monat später.

 

Wie bist du auf Thema und Figuren des Romans „Die Putzhilfe“ gekommen?

Bei der „Putzhilfe“ stand am Anfang die Idee, dass eine junge Frau, die Hauptfigur, die bislang in einer gemütlichen Kleinstadt im Münsterland lebte, vor einer Gefahr flieht und unfreiwillig in Berlin landet. Diese Gefahr nimmt sie in gewisser Weise natürlich mit, kann ihr also nicht wirklich entfliehen. Berlin wollte ich dabei aus der Sicht einer Person schildern, die die Stadt kaum kennt und übrigens auch nicht mag, die genervt davon ist, dass viele Berlin so toll finden und als Sehnsuchtsort betrachten. Nach und nach entwickelte sich dann auch die Geschichte drum herum, und ich griff auf etwas zurück, worüber ich schon eine Weile nachdachte, was aber nie gepasst hat: die Wissenschafts-Community. Im akademischen Leben, vor allem, wenn es um Stellen, Fördermittel usw. geht, herrscht unglaubliches Konkurrenzdenken, vielleicht mehr als in allen anderen Berufen, und hierüber wollte ich schon länger schreiben. Bei der „Putzhilfe“ passte es dann.

 

Gibt es Elemente, durch die sich „Die Putzhilfe“ von deinen anderen Thrillern unterscheidet (Stil, Erzählperspektive/n etc.)?

Eigentlich nicht, jedenfalls fällt mir nichts ein. Ich schildere ja schon länger aus verschiedenen Perspektiven, auch in der „Putzhilfe“, wobei die jeweilige Perspektive dann wiederum ziemlich subjektiv ist. Der auktoriale Erzähler ist sowieso ein wenig aus der Mode gekommen. Für die Kriminalliteratur ist er aber wahrscheinlich ohnehin nicht so geeignet, denn Spannung (Thrill) hat ja auch viel mit (noch) Nicht-Wissen zu tun. Als ich anfing, über mein neues Buch nachzudenken, fiel mir auf, dass seit einigen Jahren sehr viele Autoren genau das tun, wechselnde Perspektiven einnehmen, und deswegen ließe sich die Frage eher für das Buch, das ich gerade schreibe, beantworten: Ich habe mir hierbei vorgenommen, nur aus einer Perspektive zu erzählen. Mal sehen, ob es bis zum Schluss dabei bleibt.  

 

Hast du in deinen Thrillern jeweils eine „Lieblingsfigur“, welche? Welche in „Die Putzhilfe“?

Das wechselt, je nachdem, mit welcher ich mich gerade beschäftige – also nein, ich mag durchaus alle Figuren, wenngleich nicht alle unbedingt sympathisch sind. Dass eine Figur nicht sympathisch ist, schließt für mich aber sowieso nicht aus, sie zu mögen. Wenn ich so darüber nachdenke – bei der „Putzhilfe“ haben mir die Passagen mit Sina, der verwahrlosten Neuköllner Jugendlichen, schon großen Spaß gemacht.

 

Was bedeutet dir die Auszeichnung mit dem Stuttgarter Krimipreis?

Was würdest du auf der Preisverleihungszeremonie, angenommen sie fände statt und du würdest ein paar Dankesworte oder eine kurze Rede formulieren müssen, sagen?

Der Stuttgarter Krimipreis ist der zweite Literaturpreis meines Lebens, erst kam der zweite Platz des Deutschen Krimi Preises und bald darauf der Stuttgarter Krimipreis. Und das mit ein- und demselben Buch. Ich bin absolut überwältigt, immer noch – viel mehr könnte ich wohl auch vor Ort nicht sagen. Ich freue mich, immer noch, riesig! In Stuttgart würde ich mich bei allen bedanken, wäre ansonsten wohl eher sprachlos und würde mich auf den Sekt und die Gespräche beim Sekt freuen.

 

Wie entstehen deine Bücher? Gibt es Schreibrituale? Wo schreibst du am liebsten? Beginnst du mit dem Anfang? Planst du alle Figuren und Perspektiven vor Beginn? Wie entwickelt sich das beim Schreiben? Wie lange arbeitest du an einem Buch?

Schreibrituale habe ich nicht – ich weiß auch gar nicht, was das eigentlich sein soll. Es gibt ja diesen viel bemühten Satz, der aber wahr ist: Die Ideen kommen bei der Arbeit. Ich schreibe zu Hause, bin also im Unterschied zu vielen anderen von jeher an Homeoffice gewöhnt. Ich bemühe mich zwar jedes Mal, mit dem Anfang zu beginnen, aber meistens klappt das nicht, weil mir z.B. während des Schreibens eine Szene einfällt, die im Buch aber erst viel später auftaucht, dann schreibe ich oft die zuerst oder skizziere sie zumindest. Ich habe auch nicht von der ersten Seite an den gesamten Plot parat – meist ist es eher eine grobe Skizze. Ich glaube, für mich ist wichtig, zuerst mit den diversen Figuren vertraut zu werden (im Laufe der Zeit kommen manchmal auch noch weitere hinzu), also sie zu entwickeln. Es gibt in schlechten Romanen übrigens kaum etwas Schlimmeres als blasse, unechte, holzschnittartige Klischee-Figuren, nur gut oder nur böse, ohne Facetten dazwischen.

 

Du liest viel. Als Lektorin und privat. Welchen Einfluss hat das auf dein Schreiben?

Unterhaltung und auch „Fortbildung“ (wie machen die Kollegen das?). Ich lese tatsächlich auch privat größtenteils Krimis. Da gibt es, grob gesagt, eher nicht so gute, die ich abends im Bett lese und schnell wieder vergesse, und sehr gute, die ich nicht nur abends im Bett lese, sondern, je nach Zeit, auch tagsüber zwischendurch. Das sind solche, deren Sprache, Aufbau, Figurenzeichnung etc. mich inspirieren. Sie lösen etwas aus, regen mich zum Schreiben an. Eine richtig gut geschriebene Passage (Danke übrigens an die vielen Übersetzer und Übersetzerinnen) kann bei mir bewirken, dass ich sofort in meinen eigenen Schreibfluss finde, dass es plötzlich läuft. Diese Bücher sind für mich in Schreibphasen, in denen ich eher feststecke und nicht im „Flow“ bin, sehr wichtig.

 

Du hast Germanistik, Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften studiert. Wie bist du überhaupt zum Schreiben gekommen? Was hast du als Erstes geschrieben, was veröffentlicht? Wann hast du den Entschluss gefasst, Schriftstellerin zu werden?

Ich habe eigentlich schon immer geschrieben. Ich stamme eher aus der Bildungsferne, sprich: bei uns zu Hause gab es nicht allzu viele Bücher, keinen Sinn für klassische Musik oder bildende Kunst, einfach auch kein Wissen darüber, meine Generation war die erste mit Abitur usw. Aber meine Eltern schenkten mir schon in meiner Grundschulzeit eine Schreibmaschine, weil ich mir offenbar eine gewünscht hatte. An die kann ich mich auch noch erinnern: eine orangefarbene Olivetti-Reiseschreibmaschine. Ich sehne ganz sicher keine analogen Zeiten und Arbeitsbedingungen herbei, aber Schreibmaschinen mag ich immer noch, allein das Gefühl und das Geräusch, wenn man ein frisches, weißes Blatt einspannte. Bei meinen ersten Veröffentlichungen war ich zwanzig, Anfang zwanzig. Etliche Jahre Gedichte, bis ich mit Prosa anfing, erst „Kurzprosa“ (was immer das sei) und irgendwann dann der erste Roman. Ich habe mir sicher nicht mit zwanzig vorgenommen, Schriftstellerin zu werden, es kam eher eins nach dem anderen, ein fertiges Gedicht, ein fertiger Prosatext, eine fertige Kurzgeschichte, der erste Roman, Pläne für die nächsten. Aber es war schon sehr früh fester Bestandteil meines Lebens.

 

Du beschäftigst dich in deinen Thrillern mit sozialer Realität.

Rezensenten begründeten ihre Faszination durch deine Bücher u.a. so:„Ein Alltag, wie ihn jeder Mensch hat … die Spannung holt die Autorin daraus, weil es so real ist.“ (Christian Koch, Krimibuchhandlung Hammett) „… ihr hypergenauer Blick beweist sich an dem, ‚was der Fall ist‘, ganz materiell, unausgesprochen soziologisch, und nicht nur auf psychologische Dispositionen beschränkt.“ (Thomas Wörtche) „… ein Buch, das sehr nahegeht, weil es an eigene Erfahrungen anschließt. Genau das ist die Qualität von Regina Nössler …“ (Sonja Hartl) „Ihre Bücher verbreiten eine unaufdringliche, untergründige Spannung ... Regina Nössler erzählt unaufgeregt und in leisen Tönen von miefiger Enge, von Zurückweisung, Erniedrigung und körperlicher wie seelischer Gewalt. Sie erzählt von enttäuschten Erwartungen, unerwiderter Liebe unerfüllten Sehnsüchten und welches Gewaltpotential sich darin verbirgt.“ (Kirsten Reimers)

Wie würdest du selbst beschreiben, welche Themen dich generell interessieren und warum, bzw. woraus du bei der Entwicklung deiner Thriller schöpfst?

Die genannten Rezensenten und Rezensentinnen haben das sehr, sehr gut beschrieben – sicher viel besser, als ich selbst es könnte. Ich weiß auch nicht, ob Autoren wirklich so gut über ihre eigenen Bücher reden können. Ich schreibe weder über die Mafia noch über Wirtschaftsverbrechen, nicht über Menschenhandel, Drogenkartelle oder Serientäter (bisher zumindest nicht). Grundsätzlich – neben sozialen Unterschieden und allem, worin sich diese zeigen und was sie bewirken – interessiert mich wohl der Horror, der ganz plötzlich aus dem vermeintlich Normalen und Alltäglichen erwachsen kann. Oder der sich schon immer, lauernd, als unbemerkter kleiner Keim, darin verbarg.

 

Kannst du uns schon etwas von deinem entstehenden Thriller verraten? Spielt er in der Corona-bestimmten Gegenwart?

Er wird „Die Gestörte“ (Anmerkung September 2021: der Thriller wurde doch anders benannt: Katzbach)  heißen, und wie der Titel schon andeutet, geht es um eine sozial nicht ganz verträgliche Person. Er spielt in der Gegenwart, ja. Und über Corona denke ich tatsächlich ziemlich viel nach, bin dabei aber noch zu keinem endgültigen Ergebnis gekommen. Ein Beispiel: Es wird eine Anfangsszene geben, die eine Vernissage in einer kleinen Berliner Galerie beschreibt. In den letzten Monaten kam mir diese Szene dann selbst immer fremder vor. Die Galerie ist wie gesagt klein und die Vernissage sehr gut besucht, die Leute drängen sich. Das klingt momentan, Stand 24.10.2020, fast bizarr – gefährlich, verboten und ungesund. Was soll ich damit tun? Es vor Corona spielen lassen? Die Pandemie im Text einfach ignorieren? Hoffen, dass das Schlimmste nächstes Jahr überstanden ist, und Corona eher retrospektiv erwähnen? Ich lese zurzeit einen isländischen Krimi („Die Schlinge“ von Lilja Sigurðardóttir, insgesamt eine Trilogie, die ich zu den o.g. guten Krimis rechne), der kurz nach der Finanzkrise spielt und die besondere Rolle Islands und den dortigen Bankencrash verarbeitet bzw. das ist sogar Teil des Verbrechens. Übrigens taucht darin auch der Vulkanausbruch auf Island auf. Das ist zwar die Wirklichkeit, aber sie liegt schon eine ganze Weile in der Vergangenheit. Die Autorin hat es mit dem Wissen von 2015 geschrieben (da erschien das Original). Corona hingegen ist jetzt. Dauer und Ausgang offen. Manchmal frage ich mich, ob alle im nächsten Jahr erscheinenden Krimis Kontaktbeschränkungen, Maske-Tragen usw. thematisieren und ob das nicht wiederum entsetzlich langweilig wäre, wenn es in allen zu lesen ist. Ich bin diesbezüglich noch ein wenig ratlos und unentschlossen, aber die Frage, wie ich damit verfahren soll, ist mir ist beim Schreiben stets gegenwärtig.

 

Fragen: Claudia Gehrke und Amancay Kappeller

Danke an die Jury: Dr. Susanne Eisenmann (Ministerin für Kultus, Jugend und Sport), Tobias Gohlis (Kolumnist Die Zeit / Sprecher und Gründer der KrimiZeit-Bestenliste), Ulrike Heitmüller (Journalistin, Politikwissenschaftlerin, Theologin) Beate Hiller (Buch im Süden), Reinhard Jahn (Bochumer Krimi Archiv), Günter Keil (Journalist, Kritiker, Moderator), Susanne Martin (ehemals Schiller Buchhandlung, Stuttgart), Dr. Rainer Moritz (Literaturhaus Hamburg), Dr. Wolfgang Niess (Kulturjournalist, Stuttgart), Michaela Pelz (www.krimi-forum.de), Barbara Scholz (Buchhandlung Karl Krämer, Stuttgart), Margarete von Schwarzkopf (früher NDR, Moderatorin) , Thomas Wörtche (Literaturkritiker und Herausgeber)