Dieter de Lazzer: Buch für einen Leser 2

Leseprobe


Als der Erzähler zurückkam, waren die Studenten jedenfalls aufgewacht. Der »Kampf« hatte sich 1966 zuerst gegen den Vietnamkrieg, den Schah und bald gegen Springer gerichtet und durch die Erschießung von Benno Ohnesorg in Berlin verschärft. Doch im Sommer 1968 waren die Aufregungen (in Tübingen allenfalls Ringlein im Wasserglas) schon wieder vorbei. Die Notstandsgesetze wurden erlassen. Und selbst die Rolle der Universität im Dritten Reich war als Thema rezipiert und wurde bald von den Professoren in Ringvorlesungen abgehandelt. So hatte der Erzähler von den Ereignissen bis Sommer 68 nicht viel mehr mitbekommen, als was jede Woche im Spiegel stand.

 

 

 

Er war überrascht, wie schnell der studentische Kampf – wenn man die Flugblätter auf den Mensa-Tischen, das Redenschwingen, Plakatekleben, Sprayen und gelegentliche Sit-ins überhaupt so bezeichnen kann und nicht bloß Happenings nennen sollte – sich in Richtungen und sektiererische Grüppchen aufgespalten hatte. Neben einem diffusen »Anti-« fand sich eine konkrete Schnittmenge für das, wogegen man war, gerade noch in der verknöcherten Bildungsideologie, wie sie im Land vor allem durch den Kultusminister Wilhelm Hahn verkörpert wurde, den das furchtbare Märtyrerschicksal seines Vaters zu einem verbiesterten Kommunistenfresser gemacht hatte, der freilich alles für linksradikal hielt, was links von ihm stand, also selbst biedere württembergische Liberale und gestandene Sozialdemokraten. Merke: Opfer taugen selten für die Politik.

 

 

 

Auch im sonst gelassenen Tübingen gab es bei einigen Professoren eine reaktionäre Mischung aus Angst und Ressentiment; ein Kirchenrechtler verstand es, sich bei den wenigen und harmlosen Aula- und Institutsbesetzungen als Don Quichotte lächerlich zu machen. Und der inzwischen in Tübingen lehrende Josef Ratzinger (man erinnert sich aus Band 1: die Natter am Busen des großen Karl Rahner), immer schon ein verklemmter Hysteriker, soll – nachdem ihm eine Vorlesung mit der Forderung nach Diskussion unterbrochen worden war – gesagt haben, er habe dabei dem Antichrist persönlich in die Fratze geschaut! (Schon peinlich für die Kurie, dass sie die Rolle des Papstes mit keiner überzeugenderen Figur zu besetzen wusste.)

 

 

 

In Wirklichkeit war alles ganz harmlos, der Typ, den sie Bomben-Peter nannten, war ein liebenswerter Mensch, der niemand etwas zuleide tat, und als drei Studenten nach der kurzzeitigen Besetzung des Amerikahauses in erster Instanz wegen Nötigung verurteilt wurden, setzte sich der hochangesehene Uni-Rektor Raiser persönlich für deren Rechtsschutz ein, und die zweite Instanz sprach sie frei...

 

© konkursbuch Verlag Claudia Gehrke