Sabas Martín: Klippe

Leseprobe


UND ES SPRACH DAS MEER: Das Schicksal der Lava erfülle sich.

 

Das Meer sprach – oder würde so sprechen –, und in seiner Stimme hallt die Stille, ein flüssiger Spiegel ist die Zeit, uralte Träume treffen sich hier. Langsam sprießen ihm Gräser, Polypen und Anemonen, und es spricht mit vielgestaltiger Algen-zunge und unstetem Meerschaum, präsent auch alter Salpeter und verborgenes Jod und tiefe Senken und Gräben. Und immer schallt sein Echo aufs Neue, verfängt sich in den Schwämmen im Sand. So sprach das Meer oder würde so sprechen, dass Lava werde über den Wassern.

Es sprach wie folgt – oder würde so sprechen:

Ewig fließend, ewig flimmernd, der Atem stets gleich.

In winzig kleinen Salzkristallen – die Sonne vervielfacht sich darin und glänzt in der Dopplung, das Aug’ sieht nur Licht.

In den silbrigen Strahlen der Schuppen.

In den feurigen Panzern der Krebse und den gewundenen Armen der Tintenfische.

In den Seegrasgärten auf dem Grund des Meeres.

In der Kielspur, die schneller erlischt als die Hand danach greift.

In der Ertrunkenen traurigen Augen, im Schattenreich hausen sie, im Nichts auf dem Boden des Meeres.

 

Unbegreiflich sein Wesen, elementar, archaisch, jedem Zugriff entzieht es sich. Denn das Meer ist nur Meer.

So sprach es –, und so würde es sprechen.

Damit es seiner Bestimmung genüge.

Auf dass das Magma zu kochen beginne und die Tiefen im Feuer erschaudern, ein wahres Wunder, das Werden neuen Gesteins.

Schiffe verlieren den Kurs, Seekarten und Sextanten verweigern den Dienst, auf die Sterne ist nicht mehr Verlass, außer Kraft auch der traute Horizont, zu stark brennt der Stein.

Der Bug kann nicht mehr schläfrig beharren, auf falsche Fährte lockt der Kompass, zerstörerisch schwankt der Kiel.

Das Meer aber sprach oder würde so sprechen: Mein ist die Macht.

Auf dass sich das Schicksal der Lava erfülle.

Auftauchen möge sie und die Haut der Erde durchbrechen.

Auf dass sie brodle und bleibe.

 

SELBSTGESPRÄCHE FÜHREN. Mit niemandem sonst sprechen. Ich hier ganz allein. Sprechen, um den drohenden Wahnsinn zu vertreiben. Damit über dem Warten die Angst nicht die Oberhand gewinnt. Robinson Crusoe, bevor er auf Freitag stieß. Ich wie Crusoe, ein einsamer Schiffbrüchiger, ein gestrandeter Schiffbrüchiger, hier sitze ich fest auf diesem von rauchenden Dämpfen umhüllten Hindernis. Im Abseits und ohne jeden Kontakt. Und die Golondrina, ein lebloser Freitag. Wir beide mutterseelenallein. Die Golondrina als einzige Gesellschaft. Zweckentfremdet. Ohne Glasboden. Der ist in Scherben. Wenn nur nicht das Radio beschädigt wäre. Wenn ich über das Radio eine andere Stimme hören könnte, auch wenn es nur abgehackte Silben wären, aber das Wissen genügte, dass es jemanden auf der anderen Seite gäbe, irgendwo, der in der Lage wäre, mich zu hören. Und das Handy. Auch dahin. Gleich Null. Durch und durch nass. Zu nichts mehr zu gebrauchen.

 

Das Radio ist kaputt. Seit dem Stranden ist das Radio nicht mehr zu gebrauchen. Den Küstensender einzustellen, führt zu nichts. Wenn ich irgendeinen Sender bekommen könnte, den Klang einer menschlichen Stimme. Und das Handy, ohne einen Laut. Verlassen bin ich wie Robinson. Dabei so nahe an Isla Nacaria. Und die Golondrina, mein schweigsamer Freitag. Aber sie dient mir als Zufluchtsort.

 

Wenn vielleicht, wie mir der Grieche erzählte, ein Stranddepp an Bord gekommen wäre. Stranddepp. So erzählte der Grieche. Aber ich glaube nicht an so was. Aberglaube. Märchen. Hirngespinste. Wer glaubt schon, dass so was einen Sinn ergibt? Ein Stranddepp solle mir Glück bringen, solle Unglück vom Boot fernhalten. Der Grieche erzählte, dass die Stranddeppen den bösen Blick vom Boot bannen. Der Grieche mit seinen Geschichten.

 

Er trank, um dem Tod zu entkommen.

 

© konkursbuch Verlag Claudia Gehrke