Phoebe Müller: Red Light

Leseprobe


Das war vor einigen Jahren und es begann damit, daß ich vom roten Lichtschein angezogen wurde wie ein Motte. Unfreiwillig. Es war kein gewöhnliches Rotlicht, das starr und künstlich aus der Bar auf die Straße platschte, vielmehr flimmerte und flackerte eine dieser verspielten Lauflichterketten in wirren Kaskaden über die Scheiben.

 

Stand man direkt davor, sah man nur flüchtige Lichtblitze und die Drähte die zwischen den einzelnen Birnchen verliefen und daß die Scheiben nicht richtig sauber waren. In einiger Entfernung jedoch, und das hatte mich angelockt, konnte man erkennen, daß die vielen kleinen Lichter die beiden Worte "Ella exlusiv" formten.

 

Wer ist Ella, fragte ich mich, als ich es zum ersten Mal bewußt wahrnahm, und was war so exclusiv an dem Ganzen? Die Fensterfront war, wie konnte es anders sein, mit rotem Samt verhängt. Die Eingangstür zwischen den beiden Fenstern war schwarz und ein goldener Türklopfer in Form eines Löwenkopfes prangte in der Mitte. Drei kleine Stufen, die nachlässig vergoldet waren, führten ins Innere. Keine Fotos von nackten Frauen in Schaukästen, keine Getränkekarte, die Bier für nur fünf Mark anpries oder eine Erotik-Filme nonstop-Werbung. Nichts von alldem. Es mag die dümmste Erklärung der Welt sein, aber es sah verrucht aus, geheimnisvoll. Wie die Lichter da so selbstbewußt "Ella exclusiv" ins Dunkel warfen.

 

Ich war schon oft daran vorbeigegangen, auf dem Weg in die Stadt, zur Arbeit, zu abendlichen Vergnügungen. Mit Fantasien im Kopf, mit Zweifeln, mit Neugier. Selbstkritisch oder ironisch oder beschämt.

 

 *

 

Es war ein kalter Abend, als ich mich endlich entschloß die Bar zu besuchen. Frost hing wie Geisterfinger in der Luft, zerrte an meinen Haaren und griff mir unsanft um die Kehle. Es roch nach Winter. Der Himmel hing grau und schneeschwanger über der Stadt. Es hatte mich einige Zeit gekostet, das passende Outfit auszuwählen, nun mußte ich feststellen, daß es viel zu dünn war. Mit hochgezogenen Schultern stolperte ich durch die Kälte, aber ich war stolz auf mich. Vom Phantasieren war ich zur Tat übergegangen. Zwar drückten die hohen, neuen Schuhe und nervöser Schweiß bildete sich in meinen Achselhöhlen, aber Schritt um Schritt kam ich der Herausforderung näher.

 

Schon sah ich Ellas Lichter in einiger Entfernung flimmern. Erste Schneeflocken taumelten zu Boden, fielen auf meinen Mantel und schmolzen langsam in meinem Haar und auf meinem Kunstpelzkragen. Schon stand ich vor der Tür und streckte die Hand aus, nicht ohne mich vorher nach rechts und links umgesehen zu haben. Mutig griff ich nach dem goldenen Türklopfer, der, wie sich herausstellte, nur Attrappe war. Die billige Plastikimitation eines brüllenden Löwen. Dann stiess ich die Tür auf.

 

Als ich eintrat, war es, als hätte jemand ein paar Liter Milch in das Rot geschüttet. Es flackerte nicht mehr frisch und lustig. Es wogte als schwüle, trübe Masse um mich herum. Fast klebrig. Zigarettenqualm und Bierdunst, alle möglichen Ausdünstungen, die ich in meiner Nervosität gar nicht alle wahrnehmen konnte. Ich schüttelte mein Haar und hoffte, daß es nicht allzu naß und zerzaust war. Ein paar letzte Flocken fielen vor mir auf den Boden und schmolzen sofort im überhitzten Raum.

 

Ein hastiger Blick zur Seite zeigte mir, daß der Effekt in dem roten Brei trotzdem der gewünschte war. Das Licht schmeichelte ungemein. Meine Züge waren verschwommen in den vielen geschliffenen Spiegeln, weich, fast mädchenhaft. Ein paar Jährchen konnte ich mir locker runterschwindeln. Von irgendwoher drang Grace Jones' Stimme an mein Ohr. Noch sah ich nichts im Dämmerlicht, aber ich spürte die Blicke. Ich war ein scheues Tier, das aus weiter Steppe zum ersten Mal ins Dschungeldunkel tritt. Eine sanfte Panik massierte mir die Schulterblätter.

 

Meine Vorstellungen von verruchten Kurtisanen, von coolen Nutten mit Zigarette im Mundwinkel, dem ironischen Gesichtsausdruck einer Lauren Bacall, dem Sexappeal von Liz Taylor oder zumindest dem naiven Charme einer Irma la Douce gingen dahin wie die Schneeflocken. Die Frauen, die mich ansahen, schienen auf den ersten Blick erschreckend normal und blickten eher kritisch als charmant. Ich zählte fünf Augenpaare und einen Schatten im Hintergrund. In der Luft hing nicht der Geruch von schwülem Parfüm, sondern der von frittiertem Hähnchen. Und Grace sang dazu von irgendwelchen Sklaven des Rhythmus.

 

© konkursbuch Verlag Claudia Gehrke