Karin Rick: Wilde Liebe

Leseprobe


Sommer

Meine Aufzeichnungen aus jener Zeit sind kaum dienlich, um die Begegnung mit Pascale so eindringlich zu schildern, wie ich es wünschte. Auf Kaffeefiltern, linierten Abrissen von Reiseblocks, auf Servietten, Tischsets und Packpapier in winziger Schrift und enger Linierung gekritzelte Euphorie, die die Grenzen der Normalität sprengt.

 

Immer wieder kommen Pascales dichte, manchmal feine, dann fest zusammengezurrte Locken vor, immer wieder die dicken Mauern ihres Hauses und des weiß getünchten Raumes, in dem ich spät am Vormittag aufwachte und auf die grünen Läden schaute, während sie draußen schon längst dabei war, die Pflanzen ihres Anwesens zu bewässern, zu pflegen, ihre langen, muskulösen, sonnengegerbten Arme ragten aus einem ausgebleichten T-Shirt, wenn sie die Bewässerungsschläuche einrichtete. An den Fetzen ihrer Locken zerrte der Wind. Es ist ein raues Klima in Maguez, im Winter ist die Temperatur sogar nahe dem Nullpunkt, nicht gerade das, wofür die Kanaren bei uns bekannt sind.

 

In meinen Aufzeichnungen verherrliche und belobige ich diese Zeit mit ihr, die Fremdheit ihres Naturells, die wilde Einsamkeit ihres Wesens dermaßen, dass kein vernünftiger Mensch auf die Idee käme, diese Worte, wenn er sie liest, für bare Münze zu nehmen. Waren sie denn nicht eher Beschwörungsformeln, um eine Begegnung, die von Anfang an ihre Mucken und Schwachstellen hatte, zu glorifizieren, weil ich in jener Zeit meines Lebens für eine Frau wie sie anfällig war? Schwachstellen, die mir sogar in den ersten Tagen der Beziehung in Stunden des Zweifels bewusst waren und die ich anfangs nur zu gern übersehen wollte.

 

Andererseits: wie soll man Glück denn beschreiben? Meine Sätze klingen überzogen und pathetisch und erinnern an die Versuche von Menschen, das Gefühl dankbarer Großzügigkeit zu schildern, das sie bei Sitzungen mit einem selbst erwählten Guru verspüren und als Erleuchtung bezeichnen. Das Stammeln und die verklärten Augen, das vergebliche Ringen um die richtigen Worte sagen genug über das Scheitern eines solchen Unterfangens aus.

 

„Ich bin glücklich. Ich habe eine neue Liebe. Pascale ...“, beginnt eine Eintragung am fünfzehnten September jenes Jahres. Eine schwere Geburt, diese neue Liebe allerdings: bis wir einander endlich trafen, bis ich die in ihr entfachten Gefühle zurückgeben konnte.

 

„Habe ich mir doch seit letztem Sommer gewünscht, dass es mit uns beiden so kommt ...“

 

Vielleicht war es weniger ein konkreter Wunsch als eine unscharfe Sehnsucht. Pascale wurde mir damals von Kerstin, der wuchtigen Deutschen, die in Tias wohnte, vorgestellt. „Da sind zwei Frauen vom selben Schlag wie du“, sagte Kerstin, „die solltest du kennen lernen.“ Sie meinte im Klartext: ein Frauenpaar.

 

Kerstin hatte eine sehr schnell gefasste, später nie mehr revidierte Meinung von mir: Immer wenn du kommst, gibt es Drama. Sie meinte damit gebrochene Herzen – bei den anderen, nicht bei mir. Dies war aber nur die halbe Wahrheit, eine, die Kerstin akzeptieren konnte. Kerstin wartete mit mir in der Bar der Casa Vieja, ein Restaurant in einer alten Finca, das auf sehr nobel und sehr authentisch machte und Salzfisch servierte, zu hohen Preisen.

 

Da fegten zwei Frauen in die Casa Vieja, die waren einander auf ersten Blick ähnlich. Schäbige, zerzauste Lässigkeit. Bei zweitem Hinsehen gab es erhebliche Unterschiede. Die Deutsche war eine schlampig gekleidete Aussteigerin, mehr nicht. Die Französin hatte Klasse. Was sie trug, schien ihr angegossen und nur für sie bestimmt. Das in dicken, kleinen Löckchen verfilzte, lange Haar schien von einem unsichtbaren Windstoß in einem einzigen Schwung weggeweht zu werden, die Bewegungen des dünnen, doch drahtigen Körpers waren wild gewordene Eleganz. Kantige Kiefer. Hohle Wangen. Ausgeprägte Lippen in einem schönen mediterranen Schwung, wie eine endlos lang gezogene Küste. Schwarzbraune Augen in tiefen Knochenhöhlen, die schnell und scheu die Umgebung wahrnahmen. Dicke, schwarze Brauen, die fast zusammenstießen.

 

Als ich sie sah, dachte ich: Ein dicht geballtes, zerberstendes Innenleben hat diese Frau sicher. Sie musste sich wohl nie, wie ich zumeist, Gedanken machen darüber, welche Haltung sie einnehmen sollte, ihre Gesten folgten einem natürlichen „Drive“, flossen geschmeidig dahin.

 

Sie strahlte das Understatement aus, für das sie sich in ihrem Leben ein und für alle Mal entschieden hatte. Die widerspenstige Ablehnung der Haute Bourgeoisie, aus der sie kam. Die Zugehörigkeit zu einer privilegierten Schicht konnte sie jedoch nicht einmal in einem zerrissenen, verschossenen Wams verbergen. Denn manchmal hob sie den Kopf und reckte das Kinn hervor, nur kurz, aber das war wie ein Beharren auf Individualität, auf dem Wissen um ihren Wert. Die gutbürgerliche Tradition ihrer Pariser Familie klebte ihr am Leib, ebenso wie die felsige Sturheit der Menschen aus der Bretagne. Von dort kam ihre Mutter.

 

All das fasste ich für mich selbst nicht in Worte, ich spürte es nur, ich war so fasziniert, dass ich sie in einem fort anschauen wollte. Ich fand sie unglaublich schön. Sie war es, die dem Erscheinungsbild dieses Paares Kraft gab. Ihre deutsche Freundin namens Wilma Keil war nicht hässlich, aber doch Durchschnitt, sie gab ihr Bestes, um nicht ganz abzufallen, sie tat geheimnisvoll, auch mild, und bestritt das Gespräch.

 

Ich war zu schüchtern, um mich mit Pascale in ihrer Muttersprache zu unterhalten, man sollte nicht gleich wissen, dass ich an ihr interessiert war. Kerstin sprach nicht Französisch, also blieb die Unterhaltung deutsch, und Pascale drehte sich bald weg und begann mit den Lanzaroteños neben uns auf Spanisch zu reden. Dieser Abend entglitt mir.

 

Ich erinnere mich, dass ich dachte, lang halten Frauenbeziehungen auf dieser Insel ohnehin nicht, bin neugierig, wann Pascale und Wilma sich trennen werden. Ich dachte nicht ans Bett, ich dachte nicht ans Verlieben, ich wollte Pascale bloß allein erleben.

 

© konkursbuch Verlag Claudia Gehrke