Susanne Schmidt: In einem glühend blauen Sommer

Leseprobe


Als wir uns vielleicht zum zehnten Mal getroffen hatten, lud ich ihn zu mir ein. Ich hielt es nicht mehr aus, wollte küssen, wollte seine Haut spüren, wollte Sex. Erotisches Knistern hatte ich nun lange genug empfunden, es hatte mich in Flammen gesetzt, ich konnte nicht mehr warten. Wir hatten inzwischen SMS und Mails ausgetauscht, und in den Texten tauchte ein unbestimmtes »Es« auf, »unser Es«, wie Andy es nannte. Das Fluidum zwischen uns. »Es« konnte Sex bedeuten, immer war »es« doppeldeutig. Das, was vielleicht irgendwann einmal zwischen uns stattfinden würde.

 

Seine Wohnung, hatte er erzählt, sei nicht vorzeigbar. Mein Zimmer war mir peinlich. Bett, kleiner Arbeitstisch, Regalbretter an der Wand, mehr passte nicht hinein, Blick in einen kleinen schmuddeligen Hinterhof. Einen großen Kleiderschrank hatten wir in den Flur gequetscht und verwendeten ihn gemeinsam. Weil ich mir vorgenommen hatte, Andy heute einzuladen, hatte ich aufgeräumt. Sonst sah mein Zimmer aus wie eine Wäschekammer gemischt mit Krempel, Büchern, Zeitungen. Karin hatte das größere Zimmer; in ihrem Zimmer hielten wir uns auf, um zu chillen, vor der Glotze zu hängen oder nutzten es für Partys, also war es gerecht, dass wir beide die gleiche Miete zahlten.

 

Mit Blick auf die Fenster jenseits des Hofes und bei der wie immer donnernden Musik der WG schräg gegenüber schliefen wir das erste Mal miteinander. Nach einer Weile drehte er sich auf den Rücken und sagte: »Setz dich auf mich!«, und ich setzte mich auf ihn, seinen kompakten Schwanz in mir, die Eichel dick, der Schaft kurz und kräftig, aufregend! Ich hatte das irrsinnige Gefühl, er wäre allein für mein Inneres gebaut! Er bewegte seine Hüften und sein Schwanz tanzte in mir und ich auf ihm, bis mir schwarz vor Augen wurde, ich empfand, es würde nie aufhören, ich würde mich eine unendliche Zeit lang auf ihm hin und her drehen.

 

Ich bin das erste Mal direkt beim Sex gekommen, während er auf mich einredete: »Besorg’s dir, hol’s dir, hol’s dir noch mal, dazu bin ich da, nimm’s dir, so oft du kannst!«, und ich kam noch mal und noch mal, bis ich glücklich juchzend auf ihn fiel und eine weitere Ewigkeit lang so hätte liegenbleiben können, doch dann flüsterte er mir ins Ohr, »jetzt komme ich«, und ich flüsterte zurück, »ich will dich!«, er zog sich langsam aus mir hinaus, drehte mich, hob mir den Arsch an, schob sich langsam von hinten in mich und ich spürte ihn in mir, wie er sich aufbäumte, zuckte, die Bewegung des Gummis, als es sich füllte. Der Duft, als er es abzog.

 

Bis dahin war ich nie direkt beim Sex gekommen. Das erotischste Erlebnis, das ich von vorher erinnere, war mein erster Zungenkuss. Mit einem Jungen im Jugendzentrum, wir tanzten und dann küssten wir uns, während »Killing me softly« lief. Im Rhythmus des Liedes streichelte mich seine Zunge. Von heute her gesehen würde ich sagen, ich hatte einen Orgasmus dabei. Mit dem Jungen kam es weiter zu nichts. Ich war vielleicht fünfzehn. Das Lied hatte ich seit Ewigkeiten nicht mehr gehört. Es kam mir bei meinem ersten Orgasmus mit Andy ins Ohr, trotz des Krachs aus der WG von gegenüber.

 

 

Ich zerfloss, ich begann in diesem Moment zu lieben. Das glaubte ich jedenfalls. Ein- bis zweimal in der Woche vögelten wir ab diesem Tag, immer in meinem WG-Zimmer. Karin beschwerte sich eines Morgens mit Augenzwinkern über mein Geschrei. Sie hatte seit Langem einen Freund, doch sie trafen sich meistens bei ihm. Jedes Detail mit Andreas hatte ich ihr berichten müssen.


Entspannt und schläfrig von der vielen Luft, dem Abendessen und dem Meeresrauschen, das wir im Zimmer noch hörten, lag ich neben Patrick; und als er zu flüstern begann und mich um den Kuss bat, hatte ich auf einmal Lust darauf, dass er mich küsste, ich drehte mich zu ihm hin. Er nahm mein Gesicht in eine Hand, Daumen in die eine, Finger heftig in die andere Wange gedrückt, küsste zuerst das Ohr, blies hinein, was mir eine kleine Hitzewelle in den Leib schickte, und küsste mich auf den Mund, sehr weich, dann immer kraftvoller, die ganze Zeit mein Gesicht in seiner harten Hand, so dass ich nicht hätte ausweichen können, ich bebte. Und natürlich schliefen wir danach miteinander, das Gummi hatte er schon bereit, er auf mir, sachte, ausdauernd drang er intensiv in mich und drehte mich zum Schluss, ich bewegte mich kaum selbstständig sondern ließ mich drehen wie eine Puppe, draußen schien ein heller Mond, er drehte mich auf den Bauch, »dein weißer Po ein Spiegel des Mondes«, flüsterte er jetzt, bevor er wieder eindrang und kam. Er war in meinen Arsch gestoßen, unglaublich!, durch das Sachte und Langsame hatte ich es geschehen lassen, ohne Schmerz.

 

 

Mit Patrick hatte ich gelernt, dass auch ich sexuelle Lust von Gefühlen trennen konnte. Denn wir schliefen ab dieser zweiten Nacht jede Nacht miteinander, aber ich verliebte mich keinen Deut in ihn. Ich dachte manchmal an Andy währenddessen, stellte mir vor, dass es Andy war, der mich so aufregend küsste, oft dachte ich an nichts. Sex mit einem Kumpel, das geht doch!

 

Mit Andy hatte ich gelernt, Sex mit Lust zu verknüpfen, natürlich hatte ich auch vor Andy schon Freunde gehabt, aber ich machte mit, weil es dazu gehörte, war auch manchmal erregt, aber zu Orgasmen hat es nie geführt. Als hätte Andy eine Tür geöffnet, kam ich auch jetzt auch mit Patrick ohne Probleme. Sonnige Wärme in einer Zeit, in der es bei uns in Deutschland noch winterlich kühl sein konnte, die Wärme im Leib, die Hormone, keine Ahnung, ich war die ganze Zeit über sexuell geladen.

 

»Heiß«, flüsterte mir Patrick einmal zu, »du bist heiß wie eine läufige Hündin.« Er lächelte gleich darauf und entschuldigte sich. »Du weißt doch, ich habe dir von den Frauen erzählt, die mich nur ausgenutzt und weggeworfen haben, pardon, manchmal rutscht mir so was raus, Entschuldigung, ich meine nur, dass ich mich freue, dass du Lust hast, mit mir zu schlafen, du bist ganz anders als die!«, betonte er.

 

 

Ausgenutzt und weggeworfen! Was war damals konkret passiert? Auch ich wollte nicht mit ihm zusammen sein, er war mein Kumpel aus Studienzeiten, mehr nicht, auch nicht weniger, ein guter Freund eben und nun war es wider Erwarten zu Sex zwischen uns gekommen, aber das war doch nicht schlimm, das dachte ich mir. Ich bin niemandem verpflichtet, Andy würde sicher gutheißen, dass ich mit anderen Sex hatte, es würde ihn von meiner Fixierung befreien. Ich hätte hellhörig werden können. Als ganz anders als alle anderen angesehen zu werden, ist gefährlich.

 

© konkursbuch Verlag Claudia Gehrke